Kirche St. Walburga
Ein Gang durch die St. Walburgakirche in Winkel
Überblick über die Geschichte:
Unsere Kirche ist ein interessantes Spiegelbild der Gemeinde und dem Lebensgefühl in den einzelnen Phasen der Geschichte.
Zuerst die Fakten und Zahlen:
Vor 850: Im westlichen Teil des heutigen Ortsteils Winkel existiert eine Kapelle "Zum heili-gen Apostel Bartholomäus" mit einem Männerkloster.
Um 850: An der Stelle der jetzigen Walburgakirche entsteht eine romanische Kirche. In die-ser Zeit (846 - 850) wohnt der heilige Bischof Rabanus Maurus von Mainz, in Winkel, eventuell im "Grauen Haus" am Rhein.
1213: Weihe der (neuen) Kirche St. Walburga. Von diesem Bau ist ein massiver Turm erhalten, der 1717 auf die jetzige Höhe gebracht wurde.
1220: Erhebung zur Pfarrkirche für Winkel.
Nach 1500: Bau des gotischen Chores und des Kirchenschiffes. Die Treppentürme an der Süd-seite tragen die Jahreszahlen 1523 und 1544.
1675 - 1684: Völliger Umbau und Ausbau im barocken Stil. 1681 - 1684 entstand die gesamte barocke Ausstattung der Kirche (vergleiche die Jahreszahlen unter dem Chorkreuz und an der ersten Bank im südlichen Block hinten).
1833: Einbau der jetzigen Orgel, 1896 und 1948 erneuert. Erweiterung der Empore nach vorn.
1948: Diebstahl aller wertvollen Kirchengeräte. Nur wenige Stücke sind verblieben.
1. Schritt: Auf dem Platz vor der Kirche.
Wir sind die Sandsteinstufen zu Kirchenvorplatz hinaufgestiegen und stehen vor einem leicht verwitterten, in Grau gehaltenen Denkmal des heiligen Rabanus Maurus. Als Lehrer Deutschlands, so sein Titel auf dem Denkmal, steht er mit dem Buch in der Hand und predigt einem Kind das Kreuz, Symbol des christlichen Glaubens. Ein Bronzerelief auf der Vorderseite zeigt den Heiligen, Brot an Bürger austeilend. Geht man um das Denkmal herum, sieht man die Inschrift, die besagt, daß die Gemeinde Winkel ihrem berühmten Einwohner aus Dankbarkeit 1906 dieses Denkmal errichtet hat. Dankbarkeit wofür? Fest steht, daß der Mainzer Erzbischof mindestens von 846 bis 850 in Winkel, in einer Art Sommerresidenz wohnte, vielleicht im heutigen "Grauen Haus" am Rhein. Als 850 die rheingauer Bürger wegen einer Mißernte in schwere Not kamen, öffnete er seine Vorratshäuser und ernährte 300 von ihnen ein volles Jahr lang. Diese Rettung aus Hungersnot veranlaßte die Gemeinde, ihrem Wohltäter ein Denkmal zu setzen.
2. Schritt: Die Vorderfront.
Wenn man nicht jetzt die Kirche links liegen läßt und sich aus rein literarischem Interesse dem Grabmal der romantischen Dichterin Caroline von Günderode, die in Winkel am Rheinufer Selbstmord begangen hat, zuwendet, wird der Blick auf die südliche Seite der Kirche gelenkt, an der zwei Treppentürme aus gotischer Zeit auffallen (links mit der Jahreszahl 1527, rechts 1544). Im rechten Turm, der auf einem Balkon in der Kirche führte, der heute verschwunden ist, gibt es keine Treppe mehr. Die Treppe im linken Turm führt auf die Empore. Am vorgebauten Eingang zur Kirche steht die Jahreszahl 1681, was darauf schließen läßt, daß zu dieser Zeit der Vorbau vor den innen gotischen Eingang gesetzt wurde. Hier wird uns die bewegte Baugeschichte der Kirche bewußt.
3. Schritt: Ein Blick in die Geschichte
Als älteste zusammenhängende Ansiedlung im Rheingau gilt ein Kloster am westlichen Ausgang von Winkel, das dem heiligen Apostel Bartholomäus geweiht war und den Erzbischöfen von Mainz dazu diente, den Einzug der Zehntsteuer zu sichern. Diese bestand hauptsächlich aus einem Zehntel der Weinernte, die in einem großen Keller gelagert wurde, der wohl an dieser Stelle gebaut war. Aus dem ganzen Rheingau wurden von den einzelnen Höfen die Ernteerträge dorthin gebracht und von dort nach Mainz verschifft. Schließlich ar dieser Keller so typisch für die Gegend, daß man sie "Weinkeller" nannte (lateinisch: vinicella, später eingedeutscht: Win-kela). Dies erklärt den Namen des Ortes. Der Stadtteil, in dem das Kloster war, heißt auch heute noch "Bartholomä". Hier stand auch eine größere, frühromanische Kirche, wohl schon um 750. Von hier aus wurde übrigens das Kloster auf dem "Bischofsberg", später "Johannisberg" gegründet. Auf einer vorgelagerten Insel im Rhein hielt der Vertreter des Bischofs Gericht. Sein Titel war "Vicedom" Noch heute nennt man die Loge für die Grafenfamilie in der Kirche "Vicedomstand". Wenige Jahre später, wohl um 850 herum, wurde auf einer leichten Erhebung, etwa 1 km weiter östlich von Bartholomä eine romanische Kirche errichtet, die der heiligen Walburga geweiht wurde, die in der damaligen Zeit, 30 Jahre nach ihrem Tod bei Eichstätt, hochverehrt wurde. Das Patronat dieser Heiligen weist auf die Mitte des 9. Jahrhunderts als Zeit der Errichtung der ersten Walburgakirche hin. Sie hatte einen gedrungenen Turm, der heute den unteren Teil des Kirchturms bildet. Sie war so groß wie der heutige Chorraum. Genaue Hinweise fehlen. Die Gemeinde Winkel breitete sich aus den Anfängen in Bartholomä entlang der Straße nach Osten aus und reichte bald bis zum Ortsende des heutigen Oestrich. Um 1000 setzte sich dann die Dreiteilung des Ortes in Oestrich, Mittelheim und Winkel durch, Bartholomä verschwand ganz. Zeitweise hieß dieser Ortsteil auch Klingelmunda oder Elisa, nach Bächen, die dort in den Rhein münden. Übrigens wurde noch lange der ganze Ort "Langenwinkel" genannt, so etwa von Johann Wolfgang von Goethe, der ungeduldig 1813 die lange Straße befuhr, um seine Freundin Bettina von Brentano im gleichnamigen Haus zu besuchen. Mittlerweile wurde anstelle der romanischen Kirche, die nicht mehr ausreichte für die Bürger des sich ausdehnenden Ortes, eine gotische Kirche errichtet, wohl als weite Hallenkirche. Ihre Größe entsprach den heutigen Ausmaßen. Erhalten geblieben sind die beiden Eingänge und der Chorraum. In Jahre 1675 war diese Kirche so baufällig geworden, daß man nach vielen Kämpfen mit dem Patronatsherrn, Graf von Greiffenclau zu Vollrads, und dem eigentlich zuständigen Stift St. Victor in Mainz, begann den Chorraum zu renovieren , in den es hineinregnete, wodurch die ganze Kirche in einen üblen Zustand versetzt wurde und sogar die Hostien im Altar verfaulten. Obwohl damals die Grafen von Greiffenclau die Renovierung begannen, zogen sie vor Gericht und setzten durch, daß die Kosten für die Renovierung vom St. Victorstift zu tragen seien. Dies kann man heute noch erkennen. Bei der Voruntersuchung zur Renovierung, 1996, legte man als unterste, also älteste Schicht eine Bemalung in gelb und braun frei, jedoch nur im Chorraum. Sehr bald wurde (durch das St. Victorstift) dieser Anstrich überstrichen, und zwar einheitlich im Kirchenschiff und im Chorraum. Dieser Anstrich war grau mit einem blauen Strich in den Übergängen. So sieht die Kirche nach der letzten Renovierung wieder aus. Es ist der Zustand von 1700.
4. Schritt: In der Kirche.
Rundgang durch die Kirche: Alarmanlage! Bitte berühren Sie nichts und betreten Sie auch nicht die Stufen vor dem Hochaltar. Sie haben die Kirche durch einen der beiden gotischen Eingänge betreten, von denen der westliche (unter dem Durchgang) der künstlerisch bedeutendere ist. Die südliche Eingangshalle wurde, wie die Inschrift zeigt, bei der barocken Ausstattung vorgebaut.
Was Sie vielleicht nicht bemerkt haben, ist eine weitere Eingangstür auf der Südseite, die in die Gruft der Familie Matuschka-Greiffenclau führt. Die Gruft befindet sich unter dem Chorraum der Kirche und hat ein romanisches Gewölbe, sowie einen Altar mit dem großen Wappen der Familie Greiffenclau.
Beim Betreten der Kirche fällt zunächst die Weite des Raumes auf. Unwillkürlich wird der Blick nach oben gelenkt. Dies ist die Absicht in der Gotik. Der Mensch soll seine Aufmerksamkeit auf den Himmel richten, von dort erhält er Licht und Weite. Ein zweiter Blick läßt die Fülle der Figuren bewußt werden. Das Gefühl des Überladens kommt jedoch nicht auf. Bis auf drei Figuren stammen sie alle aus den Jahren 1681-1684. Älter ist die wertvolle Sitzfigur des heiligen Rabanus über dem linken Chorgestühl (erste Hälfte des 15. Jahrhunderts) und die Schmerzensmutter "Pietà" an der Nordwand des Kirchenschiffes. Die Bü-ste des heiligen Apostels Bartholomäus über dem rechten Chorgestühl ist vom Anfang des 18. Jahrhunderts und stammt aus der früheren Bartholomäuskapelle.
In den Nischen rechts und links im Kirchenschiff sind die Figuren der Heiligen Anna, Elisabeth (Nordseite) und Barbara, Katharina (Südseite). Auf der Empore an der Westwand sieht man die Figuren der heiligen Antonius von Padua und Franz Xaver. Am Taufstein steht die Figur des heiligen Johannes des Täufers. Im Chorbogen ist ein Triumphkreuz mit der Figur der heiligen Maria Magdalena. Auf der Südseite sieht man noch eine Figur der Mutter Gottes mit dem Kind (1684), die sogenannte "schwebende Madonna", denn sie hing früher unter dem Triumphkreuz und eine Holzfigur "Christus, der Weltherrscher", die früher außen an der Kirche angebracht war.
Betrachten Sie nun die beiden Seitenaltäre. Es sind die Altäre, an denen in früheren Zeiten die von den Grafen Greiffen-clau angestellten Priester ihre Messen feierten. Rechts ist der Altar des heiligen Michael mit dem Gemälde des heiligen Antonius von Padua. Links ist der Marienaltar mit dem Gemälde von der Verkündigung des Engels an Maria. Eine weitere Figur wird oft übersehen. Es ist ein "Auferstandener Christus" über dem Schalldeckel der Kanzel. Im Chorraum, rechts und links über den Türen werden weitere Figuren sichtbar: rechts der heilige Nikolaus und links der heilige Johannes Nepomuk. Das Chorgestühl ist eine schöne Arbeit des Barock und ist im typischen Knorpelwerk ausgeführt. Der Hochaltar ist der heiligen Walburga geweiht. Rechts ist die Figur des heiligen Josef mit dem Jesuskind zu sehen, links gegenüber der Apostel Johannes mit dem Attribut des Adlers.
Am Hochaltar selbst fallen die Figuren der Nebenpatrone der Kirche auf: links der heilige Philippus (er wurde mit einer Keule erschlagen), rechts der heilige Jakobus der Jüngere (er wurde gekreuzigt). Den Mittelteil nimmt ein großes und wertvolles Gemälde von der Kreuzigung Christi ein (1684). Ganz oben sieht man in einer Gloriole ein Relief der heiligen Walburga. Auf der Nordseite des Chorraumes fallen einige Fenster auf, hinter denen sich ein Raum befindet, der von außen zugänglich ist. Es ist der sogenannte "Vicedomstand", in dem die gräfliche Familie dem Gottesdienst beiwohne. Die Familie Matuschka-Greiffenclau von Schloß Vollrads in Winkel hat das Patronat über die Kirche und die Pfarrei. Im wesentlichen hat die gräfliche Familie im 17. Jahrhundert den Umbau der Kirche finanziert. Ein Wort zum Taufstein. Er ist aus Marmor und entstand 1707. Ein weiterer gotischer Taufstein aus der Kirche ist stark verwittert und wird zur Zeit restauriert. Der Altar der Schmerzhaften Mutter an der Nordwand enthält außer dem erwähnten Bildnis der Pietà noch das Wappen des früheren Pfarrers von Winkel und späteren Bischofs von Limburg, Ferdinand Dirichs (tödlich verunglückt 1948) und drei Gemälde, die von rechts nach links folgende Heiligen darstellen: Der heilige Wendelin, Schutzpatron der Landwirte, der heilige Nikolaus, Schutzpatron der Schiffer und der heilige Rabanus Maurus, wie er im Jahre 850 dreihundert Winkeler Bürger während einer Hungersnot durch Speisung aus seinen Vorräten vor dem Tod errettete. Die Heiligen unserer Kirche sind Ausdruck der Sorgen und Nöte der Gläubigen. Daher sind besonders im Raum für die Gemeinde viele Nothelfer dargestellt. Da wir an einem Fluß wohnen, beteten auch die Schiffer zu ihren Beschützern Nikolaus und Johannes Nepomuk. Schließlich wandten sich die Landwirte und Winzer an ihre Heiligen Wendelin und Johannes. Wenn Sie unsere Kirche durch das Südportal verlassen, blicken Sie auf das Denkmal des heiligen Rabanus Maurus auf dem Platz. Es wurde 1906 von der Gemeinde errichtet und stellt oben den Heiligen als Lehrer Deutschlands dar. Auf dem Relief sehen wir ihn als Wohltäter Winkels, Nahrungsmittel verteilend. Unsere Kirche ist das Wahrzeichen un-serer Gemeinde. Von weitem sieht man ihre Mauern und den Turm mit der achteckigen "welschen Haube". Sie will allen Zeugnis geben von der Kraft des Glaubens, die die Menschen zu allen Zeiten gestützt hat.